Das Perspektive-(heft für zeitgenössische literatur) Interview über Mail Art und Dada
Sylvia Egger

Avantgarde arbeitet oftmals in einer Art farradayschem Kaefig als
Blitzableiter zwischen Establishment und autonomer Zone. In dieser "autonomen" Zone lassen sich herkoemmliche etablierte Bereiche und Techniken verfremden, umarbeiten und unterbrechen. Oft brauchen diese Gruppierungen eine Art von konspirative Nische.
Susanna Lakner operiert und kommuniziert von ihrem "Planeten Susannia"
aus, stellt eigene planetbezogene Briefmarken und Poststempel her und anderes corporate Planetendesign. Handelt es sich beim "Planet Susannia" um eine derartige autonome Zone? Wie steht der Planet in Beziehung zu anderen virtuellen Staaten und Planetkonstellationen?

Als ich mir„Susannia“ ausgedacht habe, waren mir solche Kategorien nicht bewusst. Ich wollte eine Art Image, ein Logo, eine visuelle Konzeption zu meinen Arbeiten entwerfen, einen eindeutigen Siegel. Ich wollte eine zusammenhaltende Kraft, einen gewissen Rahmen meiner Mail -Art-Arbeiten finden. Mir fiel ganz spontan der Begriff „Planet Susannia“ ein (damals war der Ausdruck „Planet“ noch nicht so verbreitet wie heute). Von da an sandte ich meine Postkunst-Werke unter dem Namen „Planet Susannia“ in die Welt. Diese Art von Gedanke lag damals wahrscheinlich in der Luft , weil ungefähr nach zwei Jahren wurde das IMACOVL (International Mail Artists Council of Virtual Lands) mit 58 Mitgliedern gegründet und 2001 war das Jahr der virtuellen Länder.
Wir kennen die Tätigkeiten anderer „Planeten“ und sind einigermassen in Verbindung, aber nicht enger, als mit den anderen Postkünstlern.
Ich glaube, jeder hat Favoriten, deren Arbeiten man besonders schätzt, denen man extra
Einladungen schickt zu einigen Aktionen, aber es ist unabhängig von der Organisation.

Avantgarde verwendet zur Promotion und Darlegung ihrer Intentionen meisthinManifeste. Es gibt in der Mail Art den Slogan, dass Maenner die Manifeste schreibenund damit die Historifizierung vorantreiben und Frauen die Kontakte knuepfen. Damitsteht die Mail Art im herkoemmlichen Avantgarde Kontext, der fuer Frauen nur die Begleitrolle zulaesst. In Susannas Arbeiten findet man einen starken Konnex zur "Fe mail" Art, duepierte Mona Lisas, klassische Dada-Frauenbeine auf einem Dadaraetsel taenzelnd und den eindeutigen Bezug zu kritischer Collagierung weiblicher Motive.
Wie wuerde Susannas manifestales Statement gegen den herkoemmlichen bipolaren Entwurf der Mail Art lauten? Wie wichtig ist ihr eine Neuschreibung einer "herstory" der Mail Art?

Die Frauen, die sich ehemals im Schatten der grossen Männer betätigten, würden heute ihre eigenen Sachen machen; damals war die Position der Frauen einfach anders. Männner und Frauen sind verschieden, sie sind in unterschiedlichen Bereichen besser. Ich bin für das Bündnis nicht für den Kampf. Der Feminismus hatte viele wohltuende Wirkungen, aber heute brauchen wir andere Konstellationen, weil sich auch die Stereotypien in der Gesellschaft ändern: die schönen Frauen werden schlauer, die Klugen attraktiver, währendessen die schönen und dummen Männer sich vermehren. Diese Änderung muss man sehen. Ich bin überzeugt, dass man (frau) sich manchmal im Spiegel schief betrachten und mit Selbstironie testen muss, um sich auf die Veränderungen vorzubereiten, sich weiterzuentwicklen. Ich bin auch der Meinung, dass der 21-ste Jahrtausend den Frauen gehören wird, halte aber für eine sehr kühne Idee, die Fundamente und die richtung in Manifesten festzulegen. Damit begrenzt der Mensch automatisch sich selbst. Ich glaube lieber an der ständigen Verwandlung der Dinge, wo der Weg das Ziel ist . Alles hat seinen eigenen Rythmus und deshalb muss mann auch nicht die Geschichte der Mail-Art zu einer „herstory“ umschreiben: die Mail-Art ist ein
internationales Netzwerk, wo immer mehr Faden von Frauen hinzugewoben werden. Dies muss nicht organisiert werden, dagegen kann mann nichts tun, es is einfach so.
Die belgische Mail-Artistin, Annina van Sebroeck organisierte in 2000 die erste internationale Fe-Mail-Art Ausstellung, woran 107 Künstlerinen aus 25 Länder mit starken, ernsten und selbstironischen Werken teilgenommen haben. Diese Tatsache spicht für sich.

Der Slogan "Mailbox is a museum" und der Dadabezug als der
Rueckgriff auf klassische Vorbilder zeigen zum einen eine starke Verbindung zum Dadaismus, zum anderen jedoch auch eine gewisse Musealisierung von Avantgardebezuegen. Mail Art selbst hat einen starken (historischen) Bezug zu Avantgarde-Bewegungen wie Dada, Fluxus und Neoismus.
Ist fuer Susanna der Bezug zu frueheren Avantgardeelementen und -bewegungen am Endpunkt der Musealisierung angelangt oder bieten diese immer noch Impulse fuer eine "suerreale" Wahrnehmung? Wie laesst sich die Linearitaet von Real - Irreal - Suerreal fassen?

Der Slogan „The malibox is a museum“ stammt vom japanischen Mail-Art-Künstler Eiichi Matsuhashi und will lieber auf den aussergewöhnlichen Status der Mail Art hinweisen als auf die Museologisierung. Mail-Art-Künstler zu sein ist ein gewisser Zustand. Man (Frau) nimmt dieWelt durch die Augen der Mail-Art wahr, sammelt ständig Materialien, mal für eine Kollage, mal für Stempels oder Postkarten. Alles wirkt inspirierend; die Werke der anderen, die Arbeiten früherer Künstler, für mich besonders der Sürrealismus und Dada. Ich halte in der gesamten Kunstgeschichte die zwanziger Jahre für die aufregendesten; damals bewegten Freuds Lehren das Gehirn der Künstler, hatten sich das automatische Schreiben und die sürrealistische Gedichtkonstruktion verbreitet und kamen die Traumdeutung und Psychoanalyse in Mode. Neue revolutionäre Werke, ungewöhnliche Ausstellungen sind geboren. Unglaubliche kreative Energien wurden freigesetzt und nahmen neue Richtungen. Was mich immer wieder inspirieren sind die Kollagen von Max Ernst, Andre Bretons Gedichte, die Mertzbilder von Schwitters und die Sachen von Duchamp. Diese Quellen sind auch in den Werken vieler anderen Postkünstler erkennbar.
Meine „real-irreal-sürreal“ Etikette steht auch mit diesen Idealen in Verbindung. Mein am häufigsten benütztes Medium ist die Kollage, wo ich reale Bildfragmente mit irrealen vereine um diese in eine sürreale Lage zu setzen.

mehr über „Perspektive“:www.avantgarde.netzliteratur.net